Feinfühlig und aufmerksam mit uns selbst umzugehen, unsere Emotionen zu verstehen und mit ihnen umzugehen, ist notwendig, um im Einklang mit der inneren und äußeren Welt zu leben. Doch Selbstmitgefühl entwickelt sich nicht von allein - es muss täglich geübt werden. Dafür gibt es eine spezielle Methode: Self-Compassion.
Was ist Self-Compassion und wer hat es entwickelt?
Self-Compassion ist eine besondere Fähigkeit, aktives Mitgefühl, Fürsorge, Aufmerksamkeit und Verständnis auf sich selbst zu richten. Anders gesagt: Die Idee von Self-Compassion besteht darin, sich selbst mit Güte zu begegnen - wie einem guten Freund.
Die Theorie von Self-Compassion wurde Anfang der 2000er Jahre von Dr. Kristin Neff, Professorin für Psychologie an der Universität von Texas, entwickelt. Sie gilt als Pionierin auf dem Gebiet der Selbstmitgefühlsforschung. Neff sagt: "Anstatt sich gnadenlos zu verurteilen und für gewisse Unvollkommenheiten zu kritisieren, zeigen Sie sich Mitgefühl, Freundlichkeit und Verständnis, wenn Sie mit Schwächen konfrontiert werden. Schließlich - wer hat gesagt, dass Sie perfekt sein müssen?"
Besonders wichtig ist es, sich selbst zu unterstützen, anstatt sich zu verurteilen - in schwierigen Lebensphasen, bei Misserfolgen und Rückschlägen. Laut Neff sollte man sich in solchen Momenten fragen: "Wie kann ich mir in dieser schwierigen Zeit helfen?" anstatt unangenehme Gefühle zu ignorieren oder zu unterdrücken.
Was bringt Self-Compassion?

Zunächst einmal kultivieren Sie mit Self-Compassion innere Unterstützung und Selbstakzeptanz. Menschen brauchen das Gefühl, dass jemand für sie einsteht. Doch zu oft suchen wir Schutz von außen, während wir selbst unsere stärkste Stütze sein sollten. Nur wenn wir uns selbst mit all unseren einzigartigen Merkmalen akzeptieren, können wir das Selbstvertrauen entwickeln, für uns selbst einzustehen.
Ohne Selbstmitgefühl besteht ein hohes Risiko, dem inneren Kritiker ständig nachzugeben. Diese innere Feindseligkeit und Selbstverachtung führt zu zusätzlichem Stress, der wiederum psychische Störungen auslöst - etwa Angststörungen, Depressionen und mehr. Menschen, die sich selbst kein Mitgefühl entgegenbringen können, leiden häufig unter Erschöpfung, Unsicherheit und innerer Anspannung. Chronischer Stress durch Selbstkritik stört außerdem das Nervensystem, das Herz-Kreislauf-System und das Immunsystem.
Self-Compassion fördert auch ein besseres Verständnis der eigenen Gefühle sowie deren ethische Ausdrucksweise und Steuerung - und hilft so, effektiver mit anderen zu kommunizieren. Außerdem verbessert diese Praxis das allgemeine Wohlbefinden, schenkt Geborgenheit, emotionale Stabilität, stärkt das Selbstvertrauen, hilft bei der Überwindung von Fehlerängsten und bei Perfektionismus.
Kristin Neff fand heraus, dass Menschen mit ausgeprägtem Selbstmitgefühl eher dazu neigen:
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Glücklich und zufrieden mit ihrem Leben zu sein;
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Ein stabiles Selbstwertgefühl zu haben und an sich zu glauben;
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Ihren Körper zu schätzen;
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Über eine hohe emotionale Intelligenz zu verfügen;
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Mitgefühl und Empathie für andere zu empfinden;
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Besser mit Herausforderungen und Krisen umzugehen und Konflikte zu lösen;
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Eine gesunde Work-Life-Balance zu wahren;
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Eigene Grenzen zu setzen und "Nein" sagen zu können.
Gleichzeitig neigen Menschen ohne Selbstmitgefühl dazu:
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Häufig Scham und Abscheu gegenüber sich selbst zu empfinden;
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Sich ständig Gedanken darüber zu machen, was andere über sie denken, also abhängig von gesellschaftlicher Anerkennung zu sein;
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Häufiger an psychischen Störungen wie Essstörungen zu leiden;
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Sich einsam und isoliert zu fühlen;
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Dinge aufzuschieben, nach einem Misserfolg aufzugeben und Fehler zu fürchten.
Woraus besteht Self-Compassion: Die drei Schlüsselelemente
Das Konzept besteht aus drei zentralen Komponenten. Sie mögen einfach erscheinen, doch wenn es darum geht, sie wirklich zu leben, ist das oft alles andere als leicht:
- Freundlichkeit zu sich selbst
Statt sich zu verurteilen, begegnen Sie sich mit Verständnis und Fürsorge - selbst wenn Sie Fehler gemacht oder versagt haben. Ermutigen Sie sich wie ein guter Freund. Gleichzeitig sollten Sie auch schwere Gefühle nicht ignorieren. Erlauben Sie sich, zu fühlen, was Sie fühlen, ohne in Selbstmitleid zu verfallen. Sie dürfen klagen, sich Luft machen, sich eingestehen, dass Fehler zum Menschsein gehören. Diese Art von Selbstunterstützung schafft ein Gefühl innerer Sicherheit, motiviert zu Veränderungen und fördert persönliches Wachstum.
- Menschlichkeit anerkennen
Natürlich sollten Sie sich nicht ständig mit anderen vergleichen, doch Sie dürfen nie vergessen: Alle Menschen machen Fehler, erleben Rückschläge und sind manchmal unzufrieden mit sich selbst. Bekämpfen Sie das irrationale Gefühl, als seien Sie der einzige Mensch mit diesen Erfahrungen. Neff sagt: Menschsein bedeutet, zu zweifeln, zu scheitern und nicht nur positive, sondern auch schwierige Emotionen zu empfinden.
Self-Compassion verlangt einen ausgewogenen, achtsamen Umgang mit den eigenen Gefühlen. Man soll sie weder unterdrücken noch dramatisieren. Betrachten Sie Ihre Emotionen mit Abstand und analysieren Sie ruhig, was Sie fühlen und woher diese Gefühle kommen. Führen Sie einen inneren Dialog, erkennen Sie Ihre Empfindungen und ihre körperlichen Erscheinungsformen. So verstehen Sie besser, was in Ihnen vorgeht und wie Sie darauf reagieren können.
Praxis des Self-Compassion

Hier sind einige Tipps, die Ihnen helfen können, Mitgefühl und Freundlichkeit mit sich selbst zu entwickeln:
Tipp Nr. 1: Loben Sie sich selbst!
Machen Sie es sich zur Gewohnheit, sich jeden Tag für eine Handlung oder Entscheidung zu loben. Es muss nichts Großes oder Bedeutendes sein wie der Abschluss eines großen Vertrags, der Kauf eines Autos oder die Verteidigung einer Abschlussarbeit. Loben Sie sich für kleine Dinge - etwa dafür, dass Sie ein gesundes Frühstück zubereitet, nach einem anstrengenden Arbeitstag trainiert, Ihren Kleiderschrank erneuert, Ihre Eltern angerufen oder aufgeräumt haben. Am Anfang fällt es vielleicht schwer, solche Gründe für Selbstanerkennung zu finden, aber mit der Zeit werden Sie erkennen: Es gibt wirklich vieles, worauf Sie stolz sein können!
Tipp Nr. 2: Schreiben Sie Ihre Emotionen auf
Am besten legen Sie ein separates Notizbuch als "Emotionstagebuch" an. Schreiben Sie regelmäßig hinein - am besten jeden Abend oder mindestens zwei- bis dreimal pro Woche. Notieren Sie alle intensiven Emotionen und Empfindungen, die Sie in bestimmten Momenten erlebt haben. Beschreiben Sie Ihre Gefühle so detailliert wie möglich. Denken Sie über deren Ursachen nach - was genau hat Sie dazu gebracht, sich so zu fühlen? Stellen Sie sich Fragen wie:
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Was genau fühle ich gerade?
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Wie würde ich dieses Gefühl benennen? (Beschränken Sie sich dabei nicht auf Begriffe wie "Traurigkeit" oder "Freude". Erweitern Sie Ihren emotionalen Wortschatz, suchen Sie Synonyme, beschreiben Sie präzise, seien Sie achtsam.)
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Warum fühle ich mich so?
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Gefällt es mir, mich so zu fühlen?
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Wenn nicht - wie kann ich mir helfen, mich besser zu fühlen?
Achten Sie auch auf körperliche Anzeichen von Emotionen - z. B. zusammengebissene Kiefer bei Wut oder zitternde Hände bei Aufregung. Wenn Sie Ihre Emotionen richtig erkennen, steuern und ethisch ausdrücken, werden Sie erfolgreicher im Umgang mit anderen und bei der Zielverwirklichung.
Tipp Nr. 3: Scheuen Sie sich nicht vor dem inneren Kritiker
Ein weiteres schriftliches Ritual besteht darin, Ihre Gedanken - insbesondere Vorwürfe und Beschwerden an sich selbst - aufzuschreiben, sozusagen aus der Perspektive Ihres inneren Kritikers. Besonders hilfreich ist das in Phasen von Stress oder Selbstzweifel. Nachdem Sie alles niedergeschrieben haben, was Sie in solchen Momenten über sich denken, versuchen Sie, jeden Punkt zu widerlegen. Bringen Sie Gegenargumente: Warum Sie kein Faulpelz sind, warum Ihr Körper schön ist, warum Sie ein Profi in Ihrem Bereich sind usw. Mit der Zeit werden Sie lernen, Ihren inneren Kritiker zu erkennen und ihm selbstbewusst entgegenzutreten.
Tipp Nr. 4: Meditieren Sie
Meditation ist eine der wichtigsten Praktiken zur Förderung von Achtsamkeit und Selbstmitgefühl. Zum Einstieg können Sie z. B. eine sogenannte "Rosinenmeditation" ausprobieren. Sie müssen nicht unbedingt eine Rosine verwenden - ein beliebiger kleiner Gegenstand reicht: eine Münze, ein Schlüsselanhänger, ein Stift, ein Ring. Konzentrieren Sie sich ganz auf diesen Gegenstand. Schließen Sie die Augen, spüren Sie ihn in Ihrer Hand, ertasten Sie Form und Oberfläche. Diese Meditation dient dazu, inneres Gleichgewicht zu erlangen und psychische Ressourcen zu erneuern.
Tipp Nr. 5: Atmen Sie achtsam
Achtsames Atmen hilft, die Aufmerksamkeit zu trainieren und die Konzentration zu stärken. Wichtig ist die richtige Vorbereitung: Setzen Sie sich bequem hin. Der Rücken sollte gerade sein, die Schultern entspannt. Stellen Sie sicher, dass Sie nicht gestört werden - schalten Sie das Handy aus, schließen Sie die Augen. Beobachten Sie ein paar Minuten lang Ihren Atem - langsame Einatmungen durch die Nase und Ausatmungen durch den Mund. Legen Sie eine Hand auf den Bauch oder Brustkorb, um das Atmen besser zu spüren. Sicherlich werden in dieser Zeit Gedanken aufkommen - Erinnerungen, Ideen, Pläne. Versuchen Sie, diese loszulassen und ganz im Hier und Jetzt zu bleiben. Konzentrieren Sie sich nur auf den Atem - das beruhigt und hilft, sich nicht selbst zu beschuldigen. Nach dieser Übung können Sie beispielsweise gleich ins Emotionstagebuch schreiben - dann tun Sie es achtsamer und urteilsfreier über sich selbst. Genau das ist Self-Compassion.
Denken Sie daran: Selbstmitgefühl ist keine Selbstbemitleidung. Mitleid bedeutet, sich selbst als schwach und unfähig anzusehen, mit dem Leben zurechtzukommen. Selbstmitgefühl hingegen basiert auf Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, der Bereitschaft, Fehler anzuerkennen, und dem Willen, weiterzugehen. Um Selbstmitgefühl zu lernen, üben Sie regelmäßig, führen Sie ein Emotionstagebuch, sprechen Sie sich unterstützende Worte laut aus und seien Sie nicht nur anderen, sondern auch sich selbst gegenüber mitfühlend. Dann wird Self-Compassion Sie stärker machen, Ihre Angst vor Kritik mindern, Ihr Selbstverständnis vertiefen und ein positives Verhältnis zu sich selbst fördern.