In den letzten Jahren gilt der häufige Arbeitsplatzwechsel nicht mehr als schlechter Ton. Gefragte Fachleute können ohne Weiteres kündigen, zu anderen Firmen wechseln, zu Job-Hoppers werden (von einer Position zur anderen springen) oder gar auf Freelance-Arbeit umsteigen.
Doch für die Leiter von Großunternehmen und für HR-Manager werden dieser Freisinn und die Unabhängigkeit der Mitarbeiter zu einem immer größer werdenden Problem. In diesem Artikel gehen wir einer der Methoden auf den Grund, die die Frage beantwortet, wie gute Fachleute im Unternehmen gehalten werden können. Diese Methode heißt Stay-Interview und soll der Fluktuation guter Fachleute im Unternehmen entgegenwirken.
Worin besteht das Stay-Interview?
Das Stay-Interview setzt ein informelles und individuelles Gespräch mit dem aktiven Mitarbeiter des Unternehmens voraus, mit dem Ziel, Information über das Klima in der Belegschaft, die Arbeitsbedingungen und die Faktoren zu erhalten, die den Mitarbeiter dazu motivieren, im Unternehmen zu bleiben. Das Stay-Interview nennt man auch ein “Bleibgespräch” oder “Haltegespräch”. Man vergleicht es oft mit der Kündigungsumfrage, die beim Verlassen des Unternehmens stattfindet, weil die Ziele beider Umfragen im Grunde genommen identisch sind:
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der Arbeitgeber will verstehen, was dem Mitarbeiter im Unternehmen missfällt;
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er will wissen, warum der Mitarbeiter kündigen oder zu einer anderen Firma wechseln will;
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er analysiert die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen zu verbessern;
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er will die notwendigen Änderungen vornehmen.
Dabei ist das Stay-Interview eine viel wirkungsvollere Methode, weil man immer noch eine Chance hat, die Kündigung zu vermeiden, nachdem man die Faktoren beseitigt hat, die den Mitarbeiter zu dieser Entscheidung bewegen. Gerade deshalb empfehlen wir, das Stay-Interview regelmäßig durchzuführen. Ausgehend von den Ergebnissen muss man die Änderungen in die Wege leiten, die die Arbeitsbedingungen verbessern, und die Gründe minimieren, die die Fachleute auf die Idee bringen, das Unternehmen zu verlassen. Dadurch gibt gerade das Stay-Interview dem Arbeitgeber die Chance, die für die Mitarbeiter erforderlichen Neuerungen einzuführen, bevor sie vom Unternehmen enttäuscht sind und es verlassen wollen. In unserem Kurs “Management in Krisenzeiten. Effektive Teamkommunikation” erfahren Sie mehr darüber, wie Mitarbeiter richtig zu führen und in schweren Phasen zu motivieren sind.
Warum empfiehlt es sich, Stay-Interviews durchzuführen?
Seit ihrer Entstehung vor einigen Jahren haben sich die “Bleibgespräche” schon mehrfach bewährt – nicht zuletzt durch ihre folgenden Vorteile:
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Motivation des Personals
Geben Sie zu: Jeder hat es gern, wertgeschätzt zu werden, insbesondere dann, wenn das Unternehmen mit einer komplizierten Situation konfrontiert ist und die Mitarbeiter wirklich ranklotzen müssen, damit die Firma sich über Wasser hält. Viele sind schon allein deshalb begeistert, dass der Chef die Zeit findet, mit ihnen unter vier Augen zu sprechen, um die Möglichkeiten für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, das Betriebsklima und die persönlichen Karrierechancen zu bereden.
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Personifizierte Herangehensweise
Bei dem Stay-Interview geht es um ein persönliches Gespräch mit dem Mitarbeiter, das heißt, dieser Ansatz muss jedem einzelnen Fachmann, seinen Karrierevorstellungen, Wünschen und aktuellen Errungenschaften angepasst werden. Man kann natürlich auch verschiedene firmeninterne Umfragen in der Belegschaft durchführen, um u.a. herauszufinden, wie das Personal zur Tätigkeit des Unternehmens steht. Diese Umfragen zielen aber darauf ab, die Kriterien zu ermitteln, die die meisten Mitarbeiter betreffen und bewegen, während es beim Stay-Interview um die individuelle Behandlung jedes Mitarbeiters und um seine persönlichen Motive geht.
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Effektivität
Im Unterschied zum Austrittsgespräch, das das Problem nur zutage fördern kann, ist es das Ziel des Bleibgesprächs, das Problem schnell aus der Welt zu schaffen. Das heißt, das Stay-Interview ist darauf gerichtet, alle Faktoren zu beseitigen, die den Mitarbeitern nicht gefallen und sie dazu bewegen, nach der Konkurrenz zu schielen.
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Zugänglichkeit
Diese informellen Interviews erfordern keine spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse. Außerdem ist das eine kostengünstige, aber sehr objektive und genaue Methode, eventuelle Mängel innerhalb des Unternehmens herauszufinden. Das heißt, ein Stay-Interview erfordert kein zusätzliches Budget. Dazu ist nur eine Stunde Zeit des Personalers oder des Betriebsleiters und des jeweiligen Mitarbeiters erforderlich.
7 Regeln für ein effektives Stay-Interview
Regel №1. Erstellen Sie eine Liste der Mitarbeiter, die an der Umfrage teilnehmen sollen.
In erster Linie sollte man Stay-Interviews mit den Mitarbeitern durchführen, die die wichtigsten und verantwortungsvollsten Posten im Unternehmen bekleiden, denn im Falle einer Kündigung ist es ziemlich schwer, einen Ersatz für sie zu finden. Die Suche kann lange dauern, und der Bewerber muss womöglich noch zusätzlich geschult werden. Außerdem sollte das gesamte Personal geprüft werden. Am zweckmäßigsten ist es, Bleibgespräche mit den Leuten in Schlüsselpositionen und mit engen Spezialisten durchzuführen. Ein besonderes Augenmerk soll dabei denjenigen gelten, die vielleicht schon jetzt an eine Kündigung denken.
Regel № 2. Wählen Sie die befragende Person aus.
Am besten sollte das Stay-Interview direkt durch den Betriebs- oder Filialleiter durchgeführt werden. Er muss die aussichtsreichsten und wertvollsten Mitarbeiter persönlich kennen und wissen, was sie genau tun und wofür sie zuständig sind. Manchmal passiert es aber, dass der Mitarbeiter Bedenken gegenüber seinem Chef hat oder sich fürchtet, ihm die Wahrheit zu sagen. Wenn Ihr Verhältnis zur Belegschaft nicht allzu vertrauensvoll ist, sollten Sie besser den HR-Manager mit dem Gespräch beauftragen. Oder absolvieren Sie einfach den Kurs von Lectera “Die ideale Führungskraft. Ihre eigene Teamentwicklungsstrategie”, um Teambuilding-Methoden zu erlernen und ein Vertrauensverhältnis im Betrieb aufzubauen.
Regel № 3. Seien Sie zu unerwarteten Wendungen bereit.
Schieben Sie die Information über die Fehler im Unternehmen nicht auf die lange Bank. Die Mitarbeiter finden immer einen Anlass, um die Firma wohlbegründet zu kritisieren – gerade dazu sind die Stay-Interviews da. Aber die Reaktion auf die Kritik muss unverzüglich kommen. Dann verstehen die Leute, dass die Geschäftsleitung an den Empfehlungen wirklich interessiert ist. Sonst stellt man sich die Frage, wozu die Gespräche überhaupt geführt worden sind. Das sollte keine rein formelle Aktion sein, sondern Wirkung zeigen.
Regel № 4. Bemühen Sie sich um eine wohlwollende Atmosphäre.
Das Gespräch muss vor allem informell sein. Es ist ein Dialog zwischen zwei Mitarbeitern, auch wenn sie unterschiedliche Posten im Unternehmen bekleiden. Der Untergebene wird zu einem offenen Gespräch nur dann bereit sein, wenn er sich in einer sicheren und psychologisch komfortablen Situation weiß. Vergessen Sie nicht: der Leiter will eine ausgesprochen ehrliche Meinung hören. Deshalb muss die Atmosphäre so sein, dass der Mitarbeiter sich ungezwungen äußert, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Er muss auch sicher sein, beim Leiter ein geneigtes Ohr zu finden.
Regel №5. Bleiben Sie beim Gesprächsthema.
Beim Stay-Interview bespricht man vor allem das Niveau der Einbeziehung und der Motivation der Mitarbeiter, ihre Wünsche, Ambitionen und das Verhältnis zum Unternehmen. Der Mitarbeiter kann vom Thema abweichen, indem er die Handlungen des Leiters oder seiner Kollegen beurteilt. Es ist aber wichtig, ihn auf die Fragen des Stay-Interviews zurückzubringen.
Regel № 6. Bereiten Sie die Fragen vor.
Ein Stay-Interview dauert in der Regel nicht länger als eine Stunde. Meistens ist man damit aber schon nach dreißig Minuten fertig. Die Menge der Fragen kann unterschiedlich sein, deshalb ist es besser, die Qualität der Fragen zu beachten. Bevor Sie die Fragen niederschreiben, definieren Sie das Ziel der Befragung: Was genau wollen Sie wissen? Zum Beispiel: Was halten die Mitarbeiter von Ihrem Unternehmen, und warum arbeiten sie ausgerechnet in diesem Unternehmen? Oder umgekehrt: Welche Mängel fallen ihnen auf, und was muss als Erstes geändert werden? Davon ausgehend, sollten Sie die Fragen formulieren. Denken Sie daran, dass es für eine gute Kommunikation notwendig ist, offene Fragen zu stellen, die nicht nur ein Ja oder Nein, sondern eine erweiterte Antwort ermöglichen.
Hier sind einige Fragen, die bei einem Stay-Interview gestellt werden können:
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Was gefällt Ihnen an unserer Arbeit?
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Gibt es etwas, womit Sie nicht einverstanden sind? Was ist das?
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Halten Sie Ihre Arbeit für nützlich? Warum?
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Welche Möglichkeiten für die berufliche Entwicklung sehen Sie in unserem Unternehmen?
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Welche Arbeitsleistungen geben Ihnen zusätzliche Motivation?
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Was möchten Sie gern anders haben?
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Haben Sie eine Idee, wie die aktuelle Situation zu verbessern ist?
Regel №7. Geben Sie Feedback.
Nach dem Gespräch muss man ein Fazit ziehen. Um das Ganze anschaulicher zu machen, kann man eine Tabelle aufstellen und die häufigsten Antworten auf die Schlüsselfragen eintragen. Das werden gerade die Hauptprobleme des Unternehmens, beziehungsweise die Umstände sein, mit denen die meisten Mitarbeiter unzufrieden sind. Nach der Auswertung der Interviews sollten die Mitarbeiter unbedingt Feedback bekommen. Man kann ihnen u.a. mitteilen, dass entsprechende Korrekturen vorgenommen worden sind. Die Mitarbeiter müssen wissen, dass ihre Meinung für die Geschäftsleitung von Bedeutung ist und dass die Probleme gelöst werden.
Somit kann die Methode des Stay-Interviews nicht nur als zuverlässige Strategie für die Bindung der Mitarbeiter genutzt werden, sondern auch als Möglichkeit, ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen. Man darf auf jeden Fall nicht vergessen, dass die erfahrensten Fachleute lieber dort arbeiten, wo man sie schätzt und respektiert. Solche Gespräche stellen eine hervorragende Methode dar, den Mitarbeitern ihren Wert zu zeigen und zu signalisieren, dass die Geschäftsleitung ihr Bestes gibt, um ihnen Wachstum und Arbeitskomfort zu gewährleisten.